Music Discovery Project

Das erste »Music Discovery Project« begeisterte am 17. Mai 2007 das Publikum. Im überfüllten hr-Sendesaal präsentierten Paavo Järvi und das hr-Sinfonieorchester Dvořáks 9. Sinfonie. Bekannte DJs lieferten Techno- und House-Klänge dazu und zwei Videojockeys Bilder aus der jetzigen »Neuen Welt« Amerika.

»Aus der Neuen Welt« hatte der böhmische Komponist seine vor über 100 Jahren in den Staaten komponierte Neunte selbst überschrieben, mit der er durch die gekonnte Nutzung indianischer Folklore und schwarzer Volksmusik zum eigentlichen Begründer »amerikanischer« Musik wurde.

Dvořáks 9. Sinfonie bot dabei das Basismaterial für einen Remix besonderer Art. Während das hr-Sinfonieorchester das kraftvolle, dynamische Werk spielte, projizierten die Videojockeys Andy Belau und Jonathan Kunz auf vier Leinwänden Bilder der heutigen »Neuen Welt«, des neuen Amerika, in der ganzen Vielschichtigkeit.

Die Club- und Rave-DJs Tom Wax und Boris Alexander präsentierten eine Solonummer aus Themen und Motiven der Sinfonie und mischten sich in den vierten Satz zudem direkt ein. Live zum Orchester spielten sie mit Klangeffekten, zerstückelten, verzerrten, provozierten und fügten ihre ganze eigene musikalische Sicht hinzu.
 

Ausgewählte Pressestimmen


»Techno brachte Sinfonieorchester nicht aus Takt – Begeisterte Fans«

Antonín Dvořák (1841–1904) hat seine 1893 uraufgeführte 9. Sinfonie »Aus der Neuen Welt« überschrieben. In neue musikalische Welten führte sein Werk, als am Donnerstagabend das hr-Sinfonieorchester und bekannte DJs beim ersten «Music Discovery Project» im ausverkauften Sendesaal des Hessischen Rundfunks »eine Konfrontation von Klassik mit Techno« wagten. Das Aufeinanderprallen der unterschiedlichen musikalischen Klänge wurde vom Publikum in Frankfurt am Ende begeistert aufgenommen.

»Das Konzert richtet sich vor allem an Jugendliche, Erwachsene sind aber auch willkommen«, hatten die Veranstalter vorab erklärt und damit die Absicht des musikalischen Wagnisses zum Ausdruck gebracht… In diesem Falle ging es um die Vereinigung von Klassik mit Klängen, die man sonst nur aus angesagten Clubs kennt. Mit Tom Wax und Boris Alexander konnte man bekannte DJs der Techno- und House-Szene gewinnen, bei dem »Remix der besonderen Art« mitzumachen. Die Videojockeys Andy Belau und Jonathan Kunz sorgten für Live-Projektionen auf Leinwänden hinter dem Orchester.

Auf der anderen Seite bewies Paavo Järvi, der in den USA lebende estnische Chefdirigent des Sinfonieorchesters, ebenfalls große Offenheit…

Die ersten drei Sätze spielte das Orchester alleine rein klassisch – und reich bebildert mit Videosequenzen. Diese zeigten zunächst Landschaften, Naturgewalten, Indianer und illustrierten damit recht brav die Themen der Sinfonie. Nach und nach wurden die Bilder immer aktueller, politischer und hektischer. Das führte einerseits zu einer Reizüberflutung und lenkte von der Musik eher ab, andererseits kam es arg pädagogisch und plakativ daher… Das eigentliche Experiment, die Zusammenführung von Klassik mit Techno, erwies sich dagegen als spannende Angelegenheit. Punktgenau übergab der in den USA lebende Järvi nach dem dritten Satz an die beiden DJs, die an ihren Hi-Tech-Geräten mit allerlei Knöpfen und Reglern zunächst »solo« Technobeats mit Motiven der Sinfonie mixten.

Im vierten Satz vereinigten sich dann Klassik und Techno live. Während das Orchester die Original-Sinfonie spielte, gaben die DJs ihre Klänge dazu. Der Maestro am Pult hatte eine Hand am Kopfhörer, in der anderen hielt er den Taktstock, mit der er sein Orchester dirigierte.

Die Musiker des imposanten Klangkörpers meisterten die auch für sie komplett neue musikalische Aufgabe souverän und ließen sich vom Techno nicht aus dem Takt bringen. Auch die Videoprojektionen erschienen jetzt passender und wurden zur echten Bereicherung eines audio-visuellen Erlebnisses der neuen Art. Das Wagnis aus Techno und Klassik wurde vom altersmäßig sehr gemischten Publikum mit begeistertem und lang anhaltendem Applaus belohnt.

Max Blosche, dpa
 

»Paavos Kampf mit dem Kopfhörer - die Neue Welt (fast) ganz neu«

Noch am Vortag musste man sich Sorgen machen, ob die Idee, beim »Music Discovery Project« Klassik auf Techno treffen zu lassen ausgerechnet am Vatertag ein Publikum finden würde. Und dann setzte am gestrigen Abend nach 18 Uhr doch der Run auf die Tickets für das Konzert des hr Sinfonieorchesters mit den DJs Tom Wax und Boris Alexander ein und der Sendesaal war bis auf den letzten Platz ausverkauft und das Publikum saß sogar noch auf den Treppen.

Mit leichter Verspätung ging's dann los und die Neunte von Dvořák ist auch ganz pur schon ein aufwühlendes, schönes wie dynamisches Stück Musik. Mit den Videoprojektionen von Andy Belau und Jonathan Kunz fing es zunächst ganz heimelig an – die Weite und Schönheit der Natur war Thema in schier endlosen Variationen. Aber es blieb nicht bei dieser Marlboro-Werbung-Ästhetik. Ganz langsam wurde die »Neue Welt« in ihren ganzen Widersprüchen dargestellt, kamen industrielle Bilder ins Spiel, um schließlich kalifornische Wellenreiter auf den großen Projektionsleinwänden links und recht von der Bühne mit Kriegsszenen aus dem Irak zu konfrontieren. Eine Bilderflut, die in Kombination mit der Musik, ihren markanten Themen, nicht ohne Wirkung beim Publikum blieb.

Erst ganz zum Schluss kamen Wax und Alexander auf die Bühne. Und während das Orchester sich für einen Moment zurücklehnte, übernahmen sie erst einmal mit Orchestersamples eine langsame, noch vorsichtige Annäherung an die musikalischen Themen, um dann Beats und Geräusche zu unterlegen bevor dann das Orchester einsetzte, um die »Sinfonie aus der Neuen Welt« gemeinsam zum Höhepunkt zu führen. Lustig zu beobachten war Paavo Järvis Kampf mit dem Kopfhörer und tatsächlich: Ob das rhythmisch immer synchron war, was man da in relativ kurzer Probezeit gemeinsam erarbeitet hatte, sei einmal dahin gestellt. Klar ist, dass die Rhythmik einer klassischen Komposition oft komplexer ist, als das im Kopf von DJs, die in Techno und House zu Hause sind, verankert sein mag. So richtig zerstückelt und verzerrt – wie angekündigt – wurde Dvořák letztlich nicht. Da war dann der Respekt viel zu groß (oder stießen die DJs an ihre Grenzen). Jedenfalls war es ein gelungener Abend, mehr als nur ein Experiment, nämlich ein Weg, junges, anderes Publikum an Klassik heran zu führen, letztlich dann auch ohne »Hilfsmittel« in ganz purer Form. Denn hallo: Wer richtig hingehört hat, sich von der Projektion nicht zu sehr hat ablenken lassen, hat gehört, wie sehr ein Sinfonieorchester »rocken« kann (eine Kesselpauke macht locker jeden noch so deftigen Computerbeat platt) und wie »Klassiker« wie die »Sinfonie aus der Neuen Welt« eben auch Folk, Jazz, Weltmusik und – wenn man sich die Ohrwurmqualitäten mancher Motive klar macht – sogar Pop ist.

Detlef Kinsler, Journal Frankfurt