Dmitrij Schostakowitsch: 5. Sinfonie

Das ist ja »Chaos statt Musik«! Wenn mit diesen Worten gestresste Eltern den Musikgeschmack ihrer Kinder kritisieren, ist das nicht weiter besorgniserregend, ja wahrscheinlich sogar normal und gängige Praxis. Wenn aber ein Staatsoberhaupt so über den wichtigsten Komponisten des Landes richtet, kann es gefährlich werden.

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Programm

DAVID AFKHAM | Dirigent

Dmitrij Schostakowitsch | 5. Sinfonie

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Zumal wenn das Oberhaupt Joseph Stalin heißt, seines Zeichens Sowjet-Herrscher mit der Brutalität eines Diktators. Dmitrij Schostakowitsch war ab 1936 immer wieder ins Fadenkreuz Stalins geraten, weil diesem seine Musik nicht geheuer war. Was darf Kunst, Musik, Satire? Staatschefs mischen sich da immer mal gerne ein wie quengelige Eltern, und manche schießen scharf dabei. Heutzutage zum Glück meist daneben. Schostakowitschs 5. Sinfonie nun wurde ein Balance-Akt: Nach außen hin Jubeltöne nach Stalins Geschmack, aber bei genauem Hinhören doch exakt das Gegenteil. Statt triumphal doch eher diabolisch, statt Jubel-Ton Resignation. »Wer das Finale als Glorifikation empfindet, ist ein Idiot«, hat Schostakowitschs Freund, der berühmte Cellist Mstislaw Rostropowitsch dazu gesagt. »Ja, es ist ein Triumph für Idioten.«

Dmitrij Schostakowitsch (1906–1975)
5. Sinfonie d-Moll op. 47 (1937)

DER KOMPONIST

Dmitrij Schostakowitsch, 1906 in St. Petersburg geboren und 1975 in Moskau gestorben, war neben Igor Strawinsky und Sergej Prokofjew der bedeutendste russische Komponist im 20. Jahrhundert. Kein musikalischer Weltbürger wie jene beiden, griff er die musikalische Tradition Mussorgskijs auf, vor allem dessen Realismus und die Körperhaftigkeit seiner Musik, und suchte nach einem neuen, spezifisch russischen Idiom, das bei aller Kühnheit stets verständlich bleiben sollte. Als einer der letzten großen Sinfoniker seiner Zeit wies ihm dabei der »Ton« Tschaikowskys und insbesondere Gustav Mahlers den musikalischen Weg.

Schostakowitschs Verhältnis zum kommunistischen System der Sowjetunion war ambivalent: Durchaus ein überzeugter »Linker«, gleichzeitig wie die meisten großen Künstler ein glühender Humanist, lehnte er die totalitäre Diktatur des stalinistischen Staatsapparates ab. Zweimal, in den Jahren 1936 und 1948, geriet er auch selbst in die gefährlichen Mühlen der sowjetischen Willkürherrschaft. Um das eigene Überleben in seiner geliebten russischen Heimat und die Existenz seiner Familie zu sichern, sah sich Schostakowitsch daher letztlich gezwungen, sich die offizielle Partei-Linie zu eigen zu machen. Gegenüber dem sowjetischen Staat blieb er stets loyal, 1960 trat er – wohl auf entsprechenden Druck hin – in die KPdSU ein, war von 1957 bis 1968 Sekretär des Komponistenverbandes der UdSSR und wurde 1962 sogar in den Obersten Sowjet gewählt. Gleichzeitig veröffentlichte Schostakowitsch Kompositionen, die der Doktrin des Sozialistischen Realismus zumindest nach außen hin entsprachen, und hielt »problematischere« Werke weitgehend zurück. Was er indes wirklich dachte, vertraute der Meister der musikalischen Doppelbödigkeit seiner Musik an. Und so spielte er die Rolle des »Gottesnarren« der Zarenzeit, der hinter der Maske der Einfältigkeit die Wahrheit verbarg.

DAS WERK

Die Vorgeschichte der 5. Sinfonie von Dmitrij Schostakowitsch begann 1936 mit Stalins höchstpersönlichem und brutalem Eingriff in die Belange der sowjetischen Kunst. Bis zum Beginn der 1930er Jahre hatte es in der Sowjetunion zahlreiche Aufführungen zeitgenössischer westlicher Musik gegeben, doch damit hatte es spätestens jetzt ein abruptes Ende. Denn 1936 hatte Stalin eine Aufführung von Schostakowitschs neuer, bis dahin sehr erfolgreich gespielter Oper »Lady Macbeth von Mzensk« besucht. Was der Diktator dort sah und hörte, erregte seinen maßlosen Zorn.

Dies führte umgehend zu einer hässlichen und im wahrsten Sinne bedrohlichen Kampagne gegen Schostakowitsch. In dem unter der Überschrift »Chaos statt Musik« in der »Prawda« anonym publizierten Verriss der Oper wurde Schostakowitsch vorgeworfen, ein »musikalisches Chaos« voller »Gepolter, Geprassel und Geschrei« geschaffen zu haben; alles sei »grob, primitiv und vulgär« und so durcheinandergebracht, dass die Musik »nur noch für Ästheten und Formalisten, die ihren guten Geschmack verloren haben«, genießbar sei. Als Reaktion darauf zog Schostakowitsch seine 4. Sinfonie mit ihren satirischen Episoden und modernen »Filmschnitt«-Techniken unmittelbar vor ihrer Uraufführung zurück und behielt sie sicherheitshalber für 25 Jahre in der Schublade.

Ein Jahr nach der berüchtigten »Prawda«-Abrechnung schrieb Schostakowitsch innerhalb nur weniger Wochen seine 5. Sinfonie d-Moll. Ihre Uraufführung 1937 in Leningrad anlässlich des 20. Jahrestages der Oktoberrevolution brachte für den Komponisten nicht nur seine Rehabilitierung, sondern geriet zu einem seiner größten Erfolge überhaupt. – Ist die 5. Sinfonie also eine »gewendete« Sinfonie?

In einem 1938 veröffentlichten Artikel bezeichnet Schostakowitsch seine Fünfte selbst ausdrücklich als die »schöpferische Antwort eines sowjetischen Künstlers auf eine berechtigte Kritik«. In diesem Sinne ist die 5. Sinfonie denn auch verstanden und gedeutet worden, bis sich mit dem Erscheinen der 1979 von Solomon Wolkow herausgegebenen Schostakowitsch-Memoiren ein ganz anderer Sinn der Sinfonie offenbarte: »Was in der Fünften vorgeht, sollte meiner Meinung nach jedem klar sein. Der Jubel ist unter Drohung erzwungen ... als schlage man uns mit einem Knüppel und verlange dazu: ›Jubeln sollt ihr, jubeln sollt ihr.‹ Und der geschlagene Mensch erhebt sich, kann sich kaum auf den Beinen halten, geht, marschiert, murmelt vor sich hin: ›Jubeln solln wir, jubeln solln wir.‹ Das ist doch keine Apotheose. Man muss ein kompletter Trottel sein, um das nicht zu hören.«

Die Struktur der 5. Sinfonie ist wesentlich knapper und reduzierter als die der vorangegangenen Sinfonien. Schostakowitsch greift darin auf Sprachmittel mit spätromantischem Gestus zurück, hat die gewissermaßen erzwungene Änderung des Stils jedoch auf hintersinnige Weise positiv gewendet. Äußerlich verwirklicht er ein »Durch-Nacht-zum-Licht«-Prinzip, gleichzeitig integriert die Musik unverhohlen eine Haltung von Trauer, ja Depression. Das wird schon im Hauptthema des ersten Satzes deutlich: eine Mischung aus energischem Aufbäumen und abflauender Kraft. Schostakowitsch erzielt dabei die unmittelbare Anschaulichkeit und Suggestivität der Musik durch ein aus der Sinfonik Mahlers bekanntes Verfahren: die Variantentechnik. Die oftmals wiederholten Themen verändern mit jeder Wiederholung ihren Charakter, ihre rhythmischen Konturen werden geschärft oder aufgelöst, ihre Instrumentierung geändert und ihr musikalischer Zusammenhang und Kontext verändert.

Die Sätze zwei und drei unterstreichen die Zweiteilung der kompositorischen Anlage. Der zweite Satz, ein bizarr doppelbödiges Scherzo, nimmt mit seinem volkstümlichen Ländler-Ton und seinem hintergründigen Humor Mahler'sche Züge an, der dritte ist ein emphatisches Largo, das »in mancherlei Hinsicht ... den Kern des ganzen Werkes« darstelle, so Schostakowitsch. Und in der Tat scheint im Finale der Fünften ein »Durchbruch« herbeigeführt, der jedoch schon durch die ungeschlachte Instrumentierung des Hauptthemas zu Beginn das Moment des Erzwungenen, Gemachten immer mitschwingen lässt. Demnach wäre Schostakowitschs 5. Sinfonie also auf zwei verschiedenen Ebenen zu hören: als das Dokument einer äußerlichen Anpassung und »Läuterung« und zugleich als ein Werk des inneren Widerstands und tief empfundener Tragik.

Andreas Maul