Peter Eötvös: Speaking Drums | Peter Tschaikowsky: Manfred-Sinfonie

Wenn Multi-Percussionist Martin Grubinger auf die Bühne kommt, ist Atemberaubendes wie Ungewöhnliches garantiert. Das Junge Konzert des hr-Sinfonieorchesters macht hier keine Ausnahme.

Weitere Informationen

Programm

MARTIN GRUBINGER | Schlagzeug
VASILY PETRENKO | Dirigent

Peter Eötvös | Speaking Drums
Peter Tschaikowsky | Manfred-Sinfonie

Ende der weiteren Informationen

Der Solist spricht mit seinem Instrument. Naja, im übertragenen Sinn passiert dies sicher häufig, aber so konkret wie in Peter Eötvös’ Schlagzeugkonzert »Speaking Drums«? Martin Grubinger muss der Trommel hier erst das Spielen beibringen. Er spricht ihr vor, was er haben möchte und lässt dann den Trommelschlägel auf das Fell fallen, auf dass die das gesprochene Wort in Klang ummünzt. »Als ich zum ersten Mal die Noten gesehen habe, habe ich gesagt: Das kann ich nicht, das bring’ ich nicht, das ist einfach zu abgefahren«, erinnert sich der österreichische Schlagzeuger und diesjährige »Artist in Residence« des hr-Sinfonieorchesters Martin Grubinger, der ja schon viele abgefahrene Partituren vorgelegt bekommen hat. Aber dann musste er doch zugeben: Das Kommunizieren mit seinen Schlaginstrumenten und Mitmusikern hätte ihm bald »wahnsinnig viel Spaß gemacht«. Wo sonst bekommt er schon eine Suppenschüssel zum improvisieren gereicht und eine Waschmaschinentrommel? Auch Peter Tschaikowsky komponierte schon mal sprechend. Seine »Manfred-Sinfonie« nannte er seine »beste Sinfonie«, obwohl sie doch eher eine Sinfonische Dichtung ist. Tschaikowsky setzte hier das Poem »Manfred« von Lord Byron in Musik, einen Text, in dem es um die inzestuöse Beziehung eines Geschwisterpaares geht. Manfred flieht, seelisch aufgewühlt und Frieden suchend, in die wilden Berge – man versteht den Text fast Wort für Wort in Tschaikowskys packender Musik.

Peter Eötvös (*1944)
Speaking Drums – Vier Gedichte für Solo-Schlagzeug und Orchester (2012-13)

DER KOMPONIST

Peter Eötvös, geboren 1944 im siebenbürgischen Székelyudvarhely (damals Ungarn, heute Odorheiu Secuiesc/Rumänien), gehört zu den bekanntesten und profiliertesten Persönlichkeiten der zeitgenössischen Musik. Er reüssierte zunächst als Dirigent vornehmlich Neuer Musik, längst ist er aber auch als Komponist und als Dozent weltweit hoch geschätzt. Große Erfolge feiert er insbesondere mit seinen Opern und seinen Orchesterwerken, denen oft ebenfalls szenisch-dramatische Ideen zugrundeliegen.

Nach seinem Kompositions- und Klavierstudium an der Budapester Musikakademie 1958–1965 arbeitete er in Ungarn zunächst als Theater- und Filmkomponist, bevor er 1966 nach Köln übersiedelte, um an der dortigen Musikhochschule Orchesterleitung zu studieren. Peter Eötvös arbeitete als Korrepetitor an der Kölner Oper (1967/68) und ab 1971 sieben Jahre lang im Studio für elektronische Musik des WDR Köln. 1968–1976 wirkte er im Ensemble Stockhausen mit. Auf Einladung von Pierre Boulez leitete er 1978 das Konzert zur Eröffnung des Pariser IRCAM, im folgenden Jahr wurde er zum Musikalischen Direktor des Ensemble intercontemporain berufen (bis 1991), mit dem er über 200 Werke zur Uraufführung brachte. Peter Eötvös leitete bereits fast alle führenden Orchester der Welt, darunter die Wiener, Berliner und Münchner Philharmoniker, das Concertgebouw-Orchester Amsterdam oder das Cleveland Orchestra. Besonders intensiv arbeitete er u.a. mit dem BBC Symphony Orchestra, dem Budapest Festival Orchestra, dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR, dem Radio-Symphonieorchester Wien und dem Ensemble Modern zusammen.

Ab den 1990er Jahren entfaltete Peter Eötvös auch eine intensive pädagogische Tätigkeit: 1991 gründete er das International Eötvös Institute zur Förderung junger Dirigenten und Komponisten, zudem wirkte er als Professor an den Musikhochschulen Karlsruhe (1992–1998 bzw. 2002–2008) und Köln (1998–2001). Er ist Mitglied mehrerer Kunstakademien und erhielt zahlreiche renommierte Auszeichnungen, darunter den Frankfurter Musikpreis 2007.

DAS WERK

Die menschliche Sprache besitzt neben ihrer inhaltlich-semantischen Ebene immer auch einen »musikalischen« Aspekt: Sie wird erst lebendig und verständlich durch Rhythmus, Metrik, Sprachmelodie und gliedernde Pausen. Immer wieder beschäftigten sich Komponisten mit dem Phänomen der natürlichen Nähe von Sprache und Musik, wie etwa bei der »Erfindung« des barocken Rezitativs um 1600. Doch gerade in den letzten Jahrzehnten rückte die enge Beziehung zwischen den beiden Sphären auch jenseits einer reinen Vertonung von Texten erneut in den Fokus des Interesses.

Beispielhaft lässt sich diese Beobachtung am Œuvre von Peter Eötvös demonstrieren, dessen kompositorische Ideen regelmäßig um Sprache im weitesten Sinne kreisen. Er »richtet seine Musik immer wieder auf kommunikative Formen und Ausdrucksweisen aus«, wie es Andreas Günther formuliert, und bezieht dabei »szenisch-dramatische Elemente mit ein oder überträgt bildhafte, sprachliche – etwa dialogische oder narrative – Aspekte in eine charakteristische Klanggestik, weshalb seine Instrumentalstimmen immer wieder einen sprachhaften Charakter, ja anthropomorphe Züge anzunehmen scheinen«.

Literarische Vorlagen geben dem ungarischen Komponisten wiederholt wichtige Schaffensimpulse – nicht nur bedeutende Dramen und Romane wie Anton Tschechows »Drei Schwestern« für die Oper Tri sestri (1996–97) oder Gabriel García Márquez’ »Von der Liebe und anderen Dämonen« für die Oper Love and other Demons (2006–08), sondern beispielsweise auch Mozarts Briefwechsel mit seinem Vater für Korrespondenz – Szenen für Streichquartett (1992).

Auch bei Eötvös’ in den Jahren 2012–13 entstandenem Schlagzeugkonzert Speaking Drums verhält es sich nicht anders, worauf bereits der Untertitel »Vier Gedichte für Solo-Schlagzeug und Orchester« deutlich verweist. Hier beflügelte also die Lyrik die Fantasie von Peter Eötvös, allen voran die Lyrik des ungarischen Dichters Sándor Weöres (1913–1989), welche sehr stark das rhythmische Element betont und sich daher in besonderem Maße für eine musikalische Umsetzung anbietet.

Für die ersten beiden Teile seines dreisätzigen Konzerts griff der Komponist auf drei Gedichte von Weöres zurück: In Tanzlied sind einzelne Wörter aus dem gleichnamigen Gedicht eingearbeitet, während in Nonsense Songs je eine Strophe aus zwei weiteren Weöres-Dichtungen verwendet wird. Wobei das Wort »Dichtung« in diesem Fall nur bedingt im traditionellen Sinne zu verstehen ist – erfand doch Weöres hier eine Fantasiesprache, die zwar in ungarischer Orthografie wiedergegeben ist, aber allenfalls mit klanglichen Allusionen an existierende Sprachen spielt. Im dritten Satz Passacaglia benutzt Peter Eötvös wiederum Sanskrit-Verse des indischen Dichters Jayadeva aus dem 12. Jahrhundert, die Weöres in ungarische Phonetik übertragen hatte.

Das Besondere an Speaking Drums ist aber weniger die Tatsache, dass dem Werk eine experimentelle Lyrik mit dadaistischem Einschlag zugrundegelegt wurde, sondern dass deren akustische Vermittlung auf der Bühne dem Schlagzeug-Solisten anvertraut wird. »Die Idee kam daher, dass ich sehr oft bei indischen Musikern, besonders auch bei Jazz-Musikern, Jazz-Schlagzeugern gesehen habe, dass sie die ganze Zeit etwas sagen. Irgendwie gehört das Spielen und das Sprechen bei ihnen zusammen«, erinnerte sich der Komponist an den originären Schaffensimpuls zu Speaking Drums. Und Eötvös treibt den unkonventionellen Ansatz von Sándor Weöres in seinem Stück konsequent weiter, indem er das traditionelle Konzept des Solokonzerts explizit durch Performance-Elemente bereichert.

Was Speaking Drums zu einer »theatralischen« Musik macht, ist die dem Werk auf mehreren Ebenen zugrundeliegende Idee von Interaktion. Dazu zählt nicht nur die quasi-szenische Kommunikation des Solisten mit einzelnen Orchestermusikern im Verlaufe des Stücks, sondern vor allem auch die Tatsache, dass der Schlagzeuger in seiner Doppelfunktion als Instrumentalist und Rezitator »der Trommel sozusagen das Spielen beibringt«, wie Martin Grubinger den dramaturgischen Grundgedanken der Komposition einmal auf den Punkt brachte. Die Schlaginstrumente reagieren dabei sensibel auf die vokalen »Vorgaben« des Solisten, der ihnen wie ein engagierter Lehrmeister das Reden beibringt, bis sie tatsächlich zu »sprechenden Trommeln« werden.

Peter Tschaikowsky (1840–1893)
Manfred-Sinfonie op. 58 (1885)

DER KOMPONIST

Peter Tschaikowsky, 1840 in Wotkinsk geboren und 1893 in St. Petersburg gestorben, ist einer der meistgespielten Komponisten im heutigen Konzertleben – wenn auch nur mit einem Teil seines über 80 Werke umfassenden Œuvres. Zeit seines Lebens war seine Musik jedoch umstritten. Seine Landsleute warfen Tschaikowsky vor, sich französischen, deutschen und italienischen Einflüssen zu stark unterworfen zu haben. Im westlichen Ausland wiederum galt er mit seiner überströmenden »Gefühlsmusik« als Verkörperung der berühmten »russischen Seele«. Beide Beurteilungen lehnte Tschaikowsky ab und ließ sich auf keinen Richtungsstreit ein. Und letzten Endes war er es, der der russischen Musik zu Weltruhm verholfen hat und der zum Vorbild für die nachfolgende Komponistengeneration wurde.

Der gelernte Jurist war zunächst in Staatsdiensten beschäftigt, bevor er die Musik zu seinem Hauptberuf machte. Bis 1865 studierte Tschaikowsky bei Anton Rubinstein am Petersburger Konservatorium, im Anschluss unterrichtete er als Theorielehrer am Konservatorium in Moskau. Schüchtern, menschenscheu und unter seiner homosexuellen Veranlagung leidend, wurde er oft von Depressionen heimgesucht. Eine nur wenige Wochen dauernde Ehe endete mit einem Selbstmordversuch. 1878 wurde ihm von Nadeshda von Meck, mit der er eine enge Brieffreundschaft aufbaute, eine jährliche Pension ausgesetzt, die ihn aller finanziellen Sorgen entledigte. Tschaikowsky gab seine Anstellung auf und widmete sich fortan ganz dem Komponieren. Das plötzliche Ende der langjährigen Unterstützung durch die großzügige Mäzenin 1890 konnte er trotz weltweit großer Erfolge dann nicht verschmerzen. 1893 wurde er unter bis heute ungeklärten Umständen Opfer einer Cholera-Epidemie.

DAS WERK

Das Œuvre des englischen Dichters George Gordon Noel Byron, besser bekannt als Lord Byron (1788–1824), genoss das gesamte 19. Jahrhundert hindurch eine enorme Popularität im europäischen Bildungsbürgertum. Er faszinierte seine Zeitgenossen im Zeitalter der Romantik und lange darüber hinaus zutiefst – nicht nur durch sein literarisches Werk, sondern ebenso sehr auch durch sein äußerst bewegtes und skandalträchtiges Privatleben, das ein Verhältnis Byrons mit seiner Halbschwester Augusta Leigh mit einschloss.

In seinem 1817 erschienenen Lesedrama »Manfred« wird dieses Motiv – wie auch Byrons anschließendes lebenslanges Exil in verschiedenen europäischen Ländern – künstlerisch verarbeitet. Die Handlung dreht sich, wie so oft bei Byron, um einen innerlich zerrissenen Helden: Graf Manfred, der seine Schwester Astarte im Zuge einer (im Drama freilich nur angedeuteten) inzestuösen Beziehung in den Tod getrieben hat, wird von grausamen Schuldgefühlen und einer unbezwingbaren inneren Unruhe gequält. Weder in der wilden Berglandschaft seiner schweizerischen Heimat, noch auf seiner Burg, weder in der Religion noch in der von ihm mehrfach heraufbeschworenen Geisterwelt findet er Trost und Erlösung. Trotzig, ohne Reue und unversöhnt mit seinem Schicksal findet er schließlich den Tod.

Nach Gaetano Donizetti war Hector Berlioz der erste Komponist von Rang, der sich von Werken Lord Byrons inspirieren ließ: zu seiner Sinfonie mit konzertanter Viola »Harold en Italie« nach dem Versepos »Childe Harold’s Pilgrimage« sowie seiner Ouvertüre »Le corsaire« nach der Erzählung »The corsaire«. So erscheint es folgerichtig, dass Berlioz während seiner letzten Russland-Tournee 1867/68 in St. Petersburg (wo er auch seine »Harold-Sinfonie« dirigierte) vom einflussreichen russischen Kritiker Wladimir Stassow ersucht wurde, ein von diesem entwickeltes Szenario für eine viersätzige Programmsinfonie nach Byrons »Manfred« musikalisch umzusetzen. Doch der bereits schwer kranke Berlioz lehnte ab – ebenso wie wenig später Stassows Landsmann Mili Balakirew. Dieser behielt den Entwurf jedoch und trat damit seinerseits viele Jahre später an Peter Tschaikowsky heran, der sich zu diesem Zeitpunkt mit seinen ersten vier Sinfonien bereits einen Namen auf diesem Gebiet gemacht hatte.

Es kostete Balakirew, der sich eher als Mentor und geistiger Vater des noch jungen russischen Musiklebens denn als Komponist hervortat, allerdings zwei Jahre hartnäckiger Überzeugungsarbeit, bis Tschaikowsky einwilligte, das von Balakirew noch einmal leicht überarbeitete, inzwischen 17 Jahre alte Stassow-Szenario zu komponieren. Tschaikowskys anfängliche Abneigung gegen eine »Manfred-Sinfonie« hatte wohl mehrere Gründe: Einerseits meinte er, Robert Schumanns Bühnenmusik zu »Manfred« (1848) nichts entscheidend Neues hinzufügen zu können, andererseits kannte er zu dem Zeitpunkt Byrons »dramatisches Gedicht« noch gar nicht. Außerdem wird selbst diesem mit so wenig künstlerischem Selbstbewusstsein gesegneten Komponisten die aufdringlich-bevormundende Art zuwider gewesen sein, mit der ihm Balakirew seine Ideen »verkaufen« wollte: Detailliert bis hin zu den jeweils »passenden« Tonarten versah dieser sein Programm mit genauen Anweisungen im Sinne einer vermeintlich erfolgversprechenden kompositorischen Umsetzung.

Doch als sich Tschaikowsky schließlich im Herbst 1884 aufmachte, seinen im Sterben liegenden Freund Iosif Kotek im schweizerischen Davos zu besuchen, nahm er Byrons Buch mit sich und gab Balakirew »die Versicherung, dass ich … die Sinfonie nicht später als im kommenden Sommer schreiben werde«. Offenbar ging er davon aus, durch den düsteren Hintergrund seiner Reise und die unmittelbaren Eindrücke am Handlungsort von »Manfred« in den Schweizer Alpen den notwendigen Schaffensimpuls zu erhalten. Und tatsächlich begann Tschaikowsky gleich nach seiner Rückkehr in die Heimat im April 1885 mit der Arbeit an der »Manfred-Sinfonie«. Sie kostete ihn zunächst erhebliche Anstrengungen; in der zweiten Hälfte der fünfmonatigen Kompositionsphase steigerte er sich aber in einen wahren Schaffensrausch hinein, »dass auch ich mich allmählich in einen Manfred verwandele«, wie er an seine Mäzenin Nadeschda von Meck schrieb.

Ende September konnte Tschaikowsky schließlich stolz und erleichtert die Vollendung des viersätzigen Werkes an den »Auftraggeber« Balakirew vermelden. Die anfängliche Begeisterung des Komponisten über das Ergebnis (»mir scheint, es ist mein bestes Werk«) kühlte nach der mäßig erfolgreichen Uraufführung der »Manfred-Sinfonie« im März 1886 in Moskau jedoch merklich ab, und Tschaikowskys Einschätzung über sein Stück schwankte anschließend stark. Er plante zwischendurch sogar, den Kopfsatz zu einer Sinfonischen Dichtung umzuarbeiten und die restlichen drei Sätze komplett zu streichen. Es blieb jedoch letztlich bei der Sinfonie »in vier Bildern«, und Tschaikowsky stellte ihr das folgende, auf Stassows und Balakirews Szenario basierende Programm voran:

1. Manfred irrt in den Alpen umher. Gequält von verhängnisvollen Fragen des Seins, geplagt von der brennenden Trauer der Hoffnungslosigkeit und der Erinnerung an seine verbrecherische Vergangenheit, erleidet er grausame seelische Qualen. Manfred ist tief in die Geheimnisse der Magie eingedrungen und verkehrt gebieterisch mit den mächtigen Kräften der Hölle, doch weder sie noch irgendetwas anderes auf der Welt kann ihm Vergessen geben, wonach allein er vergeblich sucht und fleht. Die Erinnerung an die gestorbene Astarte, die er einst leidenschaftlich geliebt hat, nagt an seinem Herzen, und es gibt keine Grenzen und kein Ende für Manfreds unermessliche Verzweiflung.

2. Die Alpenfee erscheint Manfred in einem Regenbogen aus den Spritzern eines Wasserfalls.

3. Das Leben der Bergbewohner, erfüllt von Einfachheit, Güte und dem Wesen des Patriarchats. Mit diesem Leben trifft Manfred in scharfem Kontrast zusammen.

4. Unterirdische Paläste Arimans. Höllische Orgien. Manfreds Erscheinen inmitten des Bacchanals. Anrufung und Erscheinung von Astartes Schatten. Ihm wird vergeben. Sie verspricht ihm das Ende seiner irdischen Leiden. Manfreds Tod.

Die »Manfred-Sinfonie« stellt nicht nur Tschaikowskys längstes sinfonisches Werk dar, sondern auch seine einzige mehrsätzige Komposition auf einer programmatischen Grundlage jenseits der Bühnenmusik. Er zeigt sich hier auf der Höhe seines reifen Stils, zumal was die meisterhafte Instrumentierung und die Kunst der musikalischen Charakterisierung von Personen, Stimmungen und Situationen betrifft. Sowohl in der Grundkonzeption als auch in einzelnen kompositionstechnischen Details lässt sich dabei Tschaikowskys Orientierung an Berlioz erkennen – nicht zuletzt am quasi-leitmotivischen Einsatz eines zu Beginn der Sinfonie in durch Bassklarinette und Fagotte exponierten »Manfred-Themas« in allen Sätzen des Werkes. Ähnlich wie Schumann in dessen Bühnenmusik zu Byrons »Manfred« entfernt sich im Übrigen auch Tschaikowsky am Ende seiner »Manfred-Sinfonie« dramaturgisch nicht unerheblich von der literarischen Vorlage, indem er dem eigentlich als trostlos geschilderten Tod Manfreds durch eine orgelgesättigte Choral-Apotheose einen sanft positiv-verklärenden Anstrich verleiht.

Adam Gellen