Arnold Schönberg: Konzert für Streichquartett und Orchester | Thomas Adès: Asyla | Alexander Skrjabin: Prométhée – Le poème du feu

Lichtimpulse, Laserblitze, Farbkontraste – jeder Disko-Tempel und jeder Techno-Club arbeitet mit diesen Effekten. Doch schon vor mehr als 100 Jahren kam ein Komponist auf die Idee, Farben und Klänge miteinander zu verschmelzen. Alexander Skrjabin, der Revolutionär und Visionär der russischen Musik des frühen 20. Jahrhunderts, ließ sich ein Farben- und Lichtklavier konstruieren, um in seinem großen Orchesterwerk »Prometheus. Dichtung vom Feuer« alle Sinne zu beeindrucken.

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Programm

DMITRI LEVKOVICH | Klavier
MINGUET QUARTETT
FRANKFURTER KANTOREI
KONZERTCHOR DARMSTADT
MARKUS STENZ
| Dirigent

Arnold Schönberg | Konzert für Streichquartett und Orchester
Thomas Adès | Asyla
Alexander Skrjabin | Prométhée – Le poème du feu

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Damit war er seiner Zeit weit voraus – und so richtig erlebbar werden kann sein Gesamtkunstwerk auch erst dank moderner Lichttechnik von heute. Thomas Adès, 1971 in London geboren, führt dann noch weiter in die Club-Szene hinein: In »Asyla« macht er Techno- und Clubmusik für den Konzertsaal fruchtbar, er bezieht sich unmittelbar auf Bewusstseinserweiterungen durch Drogen wie Ecstasy, auf Ekstase und Rausch. Was wohl Arnold Schönberg dazu gesagt hätte? Ein Revolutionär und Grenzverletzer war schließlich auch er, und dazu einer der wenigen, die ein Streichquartett mit einem Sinfonieorchester zu verschwistern verstanden – und das auf Grundlage eines barocken Concerto grosso von Georg Friedrich Händel.

Arnold Schönberg (1874–1951)
Konzert für Streichquartett und Orchester B-Dur (1933)

DER KOMPONIST

Arnold Schönberg, 1874 in Wien geboren und 1951 in Los Angeles gestorben, hat die Musik im 20. Jahrhundert revolutioniert wie kein Zweiter: Radikal und umfassend realisierte er den Umbruch zur eigentlichen Neuen Musik. Schönberg war neben Josef Matthias Hauer der Begründer der Zwölftonmusik – jener Kompositionsweise, bei der eine Reihe aus den zwölf verschiedenen Tönen der Oktave an die Stelle der traditionellen Tonleiter tritt und alle kompositorischen Ebenen eines Werkes bestimmt. 1909 hatte es der im Prinzip konservative Schönberg als erster Komponist gewagt, die Musik konsequent von der Bindung an eine Grundtonart zu lösen. Die »Atonalität« führte ihn in der Folge schließlich zur Entwicklung seiner Kompositionstechnik »mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen«, die ab 1923 fast alle seine Stücke beherrscht und mit der er Generationen von Komponisten nachhaltig prägen sollte – nicht nur in Europa, sondern auch in Amerika, das ihm später zu einer neuen Heimat wurde.

Da die öffentliche Aufführung seiner Werke schon früh Proteste hervorrief, hatte Schönberg 1919 in Wien den »Verein für musikalische Privataufführungen« ins Leben gerufen. Er wurde zum Zentrum der von ihm begründeten »Zweiten Wiener Schule«, zu der auch seine Schüler Anton Webern und Alban Berg gehörten. Nachdem Schönberg bereits 1901–1903 und 1911–1915 in Berlin gelebt hatte, leitete er 1925–1933 eine Meisterklasse der Berliner Musikakademie. Von den Nationalsozialisten wegen seiner jüdischen Herkunft und seiner ästhetischen Vorstellungen verfolgt, emigrierte er schließlich in die USA und war 1934–1944 Lehrer in Los Angeles und Boston. 1941 nahm er die amerikanische Staatsbürgerschaft an.

DAS WERK

Revolutionäre haben es ja selten leicht. Diese Binsenweisheit musste auch der österreichische Komponist Arnold Schönberg fast seine gesamte Karriere hindurch am eigenen Leib leidvoll erfahren. Seit seinem um 1910 in die Tat umgesetzten Entschluss, das Jahrhunderte hindurch ehern befolgte Gesetz der Dur-Moll-Tonalität radikal hinter sich zu lassen, wurde er mitsamt seinen Werken vom überwiegenden Teil des Musik-Establishments seiner Zeit wie auch vom bürgerlichen Publikum aufs Ärgste bekämpft, verhöhnt und – spätestens seit dem Erstarken der rechtsextremen Strömungen in Mitteleuropa Anfang der 1920er Jahre – angesichts seiner jüdischen Abstammung auch mit offen antisemitischen Parolen verfemt.

Umso bedeutsamer erwies sich für Schönberg die Berufung an die Preußische Akademie der Künste in Berlin im Jahre 1925, um dort als Nachfolger von Ferruccio Busoni eine Meisterklasse für Komposition zu leiten: Mit dem nicht hoch genug einzuschätzenden Zuwachs an Prestige ging schließlich auch eine Stabilisierung der nur selten sorglosen finanziellen Situation von Arnold Schönberg einher. Doch in den letzten Jahren der Weimarer Republik nahm der Widerstand nationalsozialistischer und konservativer Kräfte im deutschen Musikleben gegen den Akademie-Dozenten Schönberg immer heftigere Formen an, bis dann wenige Wochen nach Hitlers Machtergreifung, im Februar 1933, der Akademiepräsident und Komponist Max von Schillings offen erklärte, der »jüdische Einfluss« an seinem Institut müsse »gebrochen werden«.

Umgehend stellte Schönberg einen Antrag auf Beurlaubung von seinem Posten, und bereits im Mai verließ er mit seiner Familie Deutschland in Richtung Paris. Im Zeitraum zwischen diesen beiden Zäsuren in Schönbergs Leben begann er noch in Berlin mit der Arbeit an einem neuen Werk: der Umarbeitung von Händels Concerto grosso B-Dur op. 6,7 zu einem Konzert für Streichquartett und Orchester. Sie schließt sich an eine ganze Reihe von ähnlichen Projekten Schönbergs in den Jahren zuvor an, darunter die orchestralen Fassungen von J.S. Bachs Orgel-Choralvorspielen BWV 631 und 654 und von Brahms’ Klavierquartett g-Moll op. 25 sowie – dem Streichquartett-Konzert unmittelbar vorangehend – die Bearbeitung eines Cembalokonzerts von Georg Matthias Monn zu einem Cellokonzert.

Die Hintergründe der Beschäftigung Arnold Schönbergs mit der Musik von Georg Friedrich Händel weisen zwar durchaus Gemeinsamkeiten mit den Motiven auf, die in den Jahren zuvor zu den erwähnten Transkriptionen führten – doch auch einen gravierenden Unterschied: Während Schönberg bei seinen Bach- und Brahms-Bearbeitungen mit größtem Respekt vor der Kunst seiner berühmten Vorgänger ans Werk ging, wollte er mit seiner »Aktualisierung« die Musik Monns und vor allem Händels dezidiert »verbessern« – oder wie er sich in einem Brief aus dem Jahr 1932 an Pablo Casals ausdrückte, die »Hauptmängel des Händelstils … bekämpfen«. Diese bestanden für Schönberg in erster Linie in den zahlreichen thematisch substanzlosen Sequenzen und Fortspinnungen sowie der aus seiner Sicht unbefriedigenden Behandlung der eigentlich »charakteristischen und oft ausgezeichneten« Themen im Verlauf des jeweiligen Stückes.

Im Hinblick auf die oben skizzierte biografische Situation Schönbergs in jenen Jahren kam nun freilich ein weiterer Anlass für dessen schon länger gehegten Ressentiments Händel gegenüber hinzu: Nationalsozialistisch gesinnte Kreise hoben diesen großen deutschen Komponisten des Spätbarock auf ihren Schild und schwadronierten etwa über die »Klarheit und Einfachheit seiner Tonsprache, die sich aufreckt zu heldischer Erhabenheit«, und »so sehr Ausdruck des deutschen Menschen« sei, dass man »seine jubelnden Triumphgesänge als Widerklang des erwachenden Deutschlands aktivieren« müsse, »um das ganze Volk teilhaben zu lassen an dieser Äußerung deutschen Geistes.«

Hält man sich diese Tatsache vor Augen, ist es umso interessanter zu verfolgen, wie Schönberg während der Arbeit an der »freien Umgestaltung« (so die Bezeichnung auf der handschriftlichen Partitur) von Händels Concerto, die sich vom April bis zum September 1933 erstreckte und somit erst im französischen Exil beendet wurde, offensichtlich mehr und mehr seine Ehrfurcht vor der Händel’schen Vorlage verlor: Während der langsame zweite Satz (Largo) noch gänzlich auf der Ebene der reinen Neuinstrumentierung mit den Ressourcen eines modernen Sinfonieorchesters verbleibt und auch der erste Satz eher auf kreative Weise mit der musikgeschichtlichen Distanz von 200 Jahren zwischen Original und Bearbeitung spielt, greift Schönberg in den beiden letzten, bereits nach der Emigration entstandenen Abschnitten des Konzerts für Streichquartett und Orchester tief in die künstlerische Substanz des Händel-Concertos ein, um zuletzt wie ein strenger Kompositionslehrer die kaum mittelmäßige Arbeit seines Studenten zu »zerpflücken«:

»Kompositorisch bin ich gewiss weiter gegangen, als Brahms und Mozart in Ihren Händel-Bearbeitungen. Ich habe mich nicht darauf beschränkt wie sie, Sequenzen und uninteressantes Figurenwerk auszumerzen und die Satzweise zu bereichern, sondern, insbesondere im dritten und vierten Satz, deren Dürftigkeit hinsichtlich der thematischen Erfindung und Ausführung keinem aufrichtigen Zeitgenossen genügen könnte, habe ich ganz frei und unabhängig geschaltet und unter Benützung des Brauchbaren einen ganz neuen Aufbau vorgenommen.«

Die Uraufführung des Konzerts für Streichquartett und Orchester fand mit dem Schönberg künstlerisch ergebenen Kolisch-Quartett und dem Orchester des Tschechoslowakischen Rundfunks unter Karl Boleslav Jirák am 26. September 1934 in Prag statt, nachdem sich die bereits für den Herbst 1933 geplante Londoner Premiere mit dem BBC Symphony Orchestra und dem Komponisten am Pult wegen Schönbergs endgültiger Abreise in die USA zerschlagen hatte.

Adam Gellen

Thomas Adès (*1971)
Asyla op. 17 (1997)

DER KOMPONIST

Thomas Adés, geboren 1971 in London, gehört als Komponist, Dirigent, Pianist und in weiteren Funktionen seit Mitte der 1990er Jahre zu den zentralen Figuren des britischen Musiklebens. Er studierte Klavier und Komposition an der Guildhall School of Music and Drama in London und anschließend ab 1989 am King’s College in Cambridge bei Alexander Goehr und Robin Halloway.

Für seine kompositorische Arbeit ist Thomas Adès bereits mit einer Reihe von bedeutenden Preisen ausgezeichnet worden. So war er im Jahre 2000 der bis heute jüngste Empfänger des hochdotierten Grawemeyer-Kompositionspreises für sein 1997 entstandenes Orchesterwerk »Asyla«, daneben erhielt er u.a. 1999 den Komponisten-Förderpreis der Ernst von Siemens Musikstiftung, den Paul-Hindemith-Preis des Schleswig-Holstein Musik Festivals 2001, den Classical Brit Award als »Komponist des Jahres« 2010 sowie einen »Grammy« (2014) für seine Shakespeare-Oper »The Tempest«.

Als Dirigent arbeitet er regelmäßig u.a. mit dem Los Angeles Philharmonic, dem Boston Symphony Orchestra, dem Concertgebouw-Orchester Amsterdam, dem London Symphony Orchestra, dem BBC Symphony Orchestra, dem City of Birmingham Symphony Orchestra und dem Ensemble Modern zusammen. Er leitete Inszenierungen – allen voran seiner eigenen Erfolgsopern »Powder Her Face« (1995) und »The Tempest« (2004) – am Londoner Covent Garden, in Zürich sowie an der Metropolitan Opera in New York. Für 2015 ist er an die Staatsoper Wien eingeladen, um eine Produktion von »The Tempest« zu dirigieren.

In seiner Eigenschaft als Pianist trat Adès als Solist mit dem New York Philharmonic Orchestra unter Alan Gilbert auf, gab Soloabende in der Carnegie Hall und im Barbican Centre in London und veröffentlichte mehrere CDs als Kammermusik-Partner von Künstlerkollegen wie Ian Bostridge oder Steven Isserlis. 1998–2000 war Thomas Adès Music Director der Birmingham Contemporary Music Group, 1999–2008 schließlich Künstlerischer Leiter des von Benjamin Britten gegründeten Aldeburgh Festivals. Bereits mit 26 Jahren wurde er auf einen Lehrstuhl für Komposition an der Royal Academy of Music in London berufen; 2004 erhielt er die Ehrendoktor-Würde der University of Essex. Seit 2010 ist Adès zudem auswärtiges Mitglied der Königlich Schwedischen Musikakademie.

DAS WERK

Spätestens als Thomas Adès’ langjähriger Mentor Sir Simon Rattle im Jahr 2002 dessen Orchesterwerk »Asyla« zusammen mit Gustav Mahlers 5. Sinfonie auf das Programm seines Antrittskonzerts als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker setzte, war der damals gerade einmal 31-jährige englische Komponist endgültig im Zentrum der internationalen Klassik-Szene angekommen (Rattle hatte das Werk bereits fünf Jahre zuvor als Music director des City of Birmingham Symphony Orchestra aus der Taufe gehoben und es 1998 auch in seinem Abschiedskonzert dort dirigiert). Adès hatte jedoch schon Mitte der 1990er Jahre, kaum dass er sein Studium am King’s College in Cambridge beendet hatte, mit seiner herausragenden, in dieser Form heutzutage kaum mehr anzutreffenden Mehrfachbegabung als Komponist, Dirigent und Pianist breite Anerkennung in und außerhalb seiner Heimat erfahren.

Dieses rasch erworbene Ansehen, das sich in zahlreichen internationalen Kompositions-Preisen und in immer neuen Aufträgen renommierter Veranstalter und Orchester manifestierte und von ständigen Vergleichen mit dem jungen Benjamin Britten begleitet wurde, erzeugte naturgemäß auch einen immensen Erwartungsdruck. Viele andere Nachwuchstalente wären wohl daran gescheitert, mit einer solchen Situation umgehen und bereits in einer so frühen Phase der Karriere einen »Hit« nach dem nächsten produzieren zu müssen. Nicht so Thomas Adès, der – mit einem bewunderungswürdig gesunden künstlerischen Selbstbewusstsein ausgestattet – seinen Weg unbeirrt und mit stets wachsendem Erfolg fortsetzte.

Adès orientierte sich dabei »kompositorisch stets auch an der Tradition der europäischen Musik vom 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert«, wie Tim Steinke feststellte. In der Tat lassen sich in Adès Œuvre und in seinem Repertoire als Interpret deutliche Bezugnahmen auf bedeutende Vorgänger von Bach und Couperin über Schubert und Berlioz bis hin zu Janáček, Schönberg, Britten, Lutosławski, Nancarrow, Kurtág und Ligeti erkennen. Zugleich verwendet Adès regelmäßig traditionelle musikalische Formen wie Solo-Konzert, Oper, Kammeroper, Kammersinfonie, Streichquartett oder Klavierquintett. Dennoch traf auf ihn »niemals der Vorwurf zu, ein Neoromantiker oder bloßer Epigone zu sein. So sehr er einerseits zur musikalischen Avantgarde Distanz hielt, so sehr gelang es Adès andererseits, einen Fundus an innovativen kompositorischen Strategien zu nutzen, der ihm die Ausbildung einer individuellen Musiksprache ermöglichte.«

Diese ist gekennzeichnet von einer spezifischen Eingänglichkeit, die sich auf attraktive Weise mit Adès’ Lust an der stetigen Erkundung aufregend neuer Klangwelten paart. Von der reichen schöpferischen Phantasie des Komponisten zeugt dabei sowohl die musikalische Erfindung selbst als auch die Wahl der Besetzungen von traditionellen bis hin zu überaus unkonventionellen Ensemblekonstellationen – vor allem aber Adès Meisterschaft im Ausschöpfen der klanglichen Ressourcen, die in den jeweiligen Instrumenten und in deren Kombination verborgen sind (in »Asyla« verwendet er beispielsweise ein Klavier, das um einen Viertelton tiefer als der Rest des Orchesters gestimmt ist, und im reichhaltig besetzten Schlagwerk dominieren die metallischen Klänge, dem Werk dadurch eine bestimmte geheimnisvoll »glitzernde« Qualität verleihend). Zudem verfügt er virtuos über eine breite Palette unterschiedlicher Musikstile; er weiß geschickt mit Anspielungen und Zitaten zu jonglieren, Phantasie und Witz auf überzeugende Weise mit einem hohen künstlerischen Anspruch zu vereinen. Adès’ verdankt seinen internationalen Erfolg dabei sicher vor allem einem unzweifelhaft vorhandenen persönlichen Tonfall, der anschaulich gearbeitete Details mit einem klaren Sinn für die Gestaltung einer übergeordneten Gesamtstruktur verbindet.

Wenngleich Thomas Adès darauf verzichtete, sein 1997 entstandenes Orchesterstück »Asyla« einer bestimmten Gattung zuzuordnen, zeigt das Werk doch eine klare Tendenz zur sinfonischen Musik: einerseits durch den Rückgriff auf die Besetzung des großen sinfonischen Orchesters der Jahrzehnte um 1900, andererseits durch den viersätzigen Aufbau mit einem langsamen zweiten Satz und einem dritten Abschnitt, der wie eine zeitgenössische Variante des sinfonischen Scherzos wirkt. Ebenso weist die Aufführungsdauer von fast 25 Minuten auf gesteigerte Ambitionen im Vergleich zu den üblicherweise kaum halb so langen reinen Orchesterwerken der zeitgenössischen Musik hin.

Eine »sinfonische« Dimension erhält »Asyla« darüber hinaus schließlich auch durch die Wiederkehr von Motiven aus den vorangegangen Sätzen im Finale sowie durch die emotionale Bandreite der Musik. Auf letztere spielt auch der zweideutige Titel an: die lateinische Pluralform des Begriffs »asylum«, der im Englischen einerseits in der doppelten Bedeutung von »Zufluchtsstätte«, »Schutzgebiet«, andererseits von »Irrenhaus« verwendet wird. Stabilität und Instabilität, Ordnung und Verwirrung, Ruhe und Ekstase, Normerfüllung und Grenzüberschreitung sind die Extreme, zwischen denen der Ausdrucksgehalt von Asyla angesiedelt ist. Den musikalischen Höhepunkt bildet dabei der dritte Satz, der als einziger einen Untertitel erhielt: Ecstasio verweist wiederum im doppelten Sinne sowohl auf den tranceartigen Zustand, den die hier anklingende Londoner Club-Musik der 1990er Jahre bei den feiernden Ravern hervorzurufen vermag, als auch auf die illegale chemische Substanz, die bei ihren Konsumenten das Erreichen dieses Zustands wesentlich befördert.

Adam Gellen

Alexander Skrjabin (1872–1915)
Prométhée – Le poème du feu op. 60 (1908–10)

DER KOMPONIST

Alexander Skrjabin, geboren 1872 in Moskau und ebendort 1915 gestorben, war der Sohn eines Juristen und Diplomaten und einer Konzertpianistin, die jedoch bereits kurz nach der Geburt ihres ersten Sohnes starb. Skrjabin wuchs bei seiner Tante auf und zeigte schon früh eine herausragende Begabung. Im Alter von zehn Jahren kam er auf die Moskauer Kadettenschule, begann aber kurze Zeit später auch mit privatem Musikunterricht, ab 1884 bei Sergej Tanejew, dem Direktor des Moskauer Konservatoriums. Dort studierte der junge Musiker schließlich 1888–1892 Komposition und Musiktheorie bei Anton Arenskij und Sergej Tanejew sowie Klavier bei Wassilij Safonov. Anschließend machte er eine internationale Karriere als Pianist, die ihn ins europäische Ausland und 1906/07 auch in die USA führte. Skrjabin war berühmt für seine äußerst klangsensible Spielweise von magisch-hypnotischer Wirkung, bei welcher der äußerst differenzierte Umgang mit den Klavierpedalen eine entscheidende Rolle spielte. Ab 1898 lehrte Skrjabin vier Jahre lang Klavier am Moskauer Konservatorium. 1902–1910 lebte er in Westeuropa, vorwiegend in der Schweiz und in Brüssel. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er wieder in seiner Geburtsstadt als eine der wichtigsten, wenn auch durchaus umstrittenen Künstlerpersönlichkeiten seines Landes. Er starb an einer Blutvergiftung, sein Begräbnis wurde zu einem der denkwürdigsten gesellschaftlichen Ereignisse im Russland jener Jahre.

Als Komponist beschränkte sich Alexander Skrjabin fast ausschließlich auf zwei Gattungen: Er schrieb Solo-Werke für sein Instrument, das Klavier (darunter mit zehn Klaviersonaten einen der bedeutendsten Sonaten-Zyklen seit Beethoven) sowie Stücke für großes Orchester; beide Werkgruppen verbindet sein Klavierkonzert fis-Moll aus dem Jahr 1896. Äußerst empfänglich auch für vielfältige außermusikalische Einflüsse, allen voran für philosophische und theosophisch-mystische Gedanken sowie die Ästhetik des Symbolismus, wurde Skrjabin seit etwa 1900 zunehmend von einem messianischen Sendungsbewusstsein erfasst. Zum Ende seines Lebens beschäftigte ihn mehr und mehr die Idee eines multimedialen »Mysteriums«: ein siebentägiges Ritual, das in einem halbkugelförmigen Tempel in Indien zelebriert werden und alle Sinne ansprechen sollte als Sinfonie aus Wort, Ton, Farbe, Duft, Tanz und bewegter Architektur. Dieses utopische Projekt, zu dem Skrjabin nur noch den Text einer »Vorbereitenden Handlung« und einige musikalische Bruchstücke entwerfen konnte, sollte die Teilnehmer auf eine höhere Daseinsstufe, zu »kosmischem Bewusstsein« führen. Solch ambitionierte Ziele konnte er freilich nicht mehr im Rahmen der herkömmlichen Dur-Moll-Tonalität realisieren: Teils hochkomplexe harmonische und rhythmische Fakturen bestimmen die Kompositionen aus Skrjabins mittlerer und später Schaffensphase, ohne dass er letztlich den Schritt in die Atonalität vollzogen hätte.

DAS WERK

Schon bald nach der Vollendung seines zukunftsweisenden Orchesterwerks »Poème de l'extase« Anfang 1908 begann Skrjabin die Arbeit an einer neuen Sinfonischen Dichtung, die zugleich sein letztes Stück für Orchester werden sollte: »Promethée – Le poème du feu«. Skrjabins »Gedicht vom Feuer« stellt unbestritten ein Schlüsselwerk in seinem Schaffen dar; die Komposition bedeutet »Vorausdenken« in des Wortes umfassender Bedeutung. Skrjabin wird mit ihr zum Pionier der Neuen Musik in Russland und eröffnet um 1910, gleichzeitig mit dem Schönberg-Kreis in Wien, eine neue Epoche. Nicht länger gründet er seine Musik auf terzgeschichtete Akkorde, nicht länger bezieht er sie auf die Dreiklänge der Dur-Moll-Tonalität: In steter Evolution seiner Harmonik hat Skjabin für den »Prometheus« einen sechstönigen Akkord aus unterschiedlichen Quarten entwickelt, einen Klangkomplex, aus dem er alle harmonischen und melodischen Gestalten der Komposition entwickelt. Das Erschließen einer neuen, nie erhörten Ausdrucksdimension bedeutet für Skrjabin allerdings, anders als für die Wiener Schule Schönbergs, zugleich auch neue, höchste Ordnung. Darin liegt der epochale Rang des »Prometheus« von Skrjabin.

Das prometheische Denken war Skrjabin nicht allein durch Lektüre zugewachsen, es war zentral für ihn, tief begründet in seiner seelisch-geistigen Disposition. Schon als 16-Jähriger formulierte er innerhalb eines Textes christlichen Gehalts den Satz: »Religiöses Gefühl ist das Bewusstsein der Gottähnlichkeit«. Die Erfahrung, dass ihm schöpferische Kraft gegeben ist, überhöht Skrjabin später in kühner Schlussfolgerung ins Kosmische: »Die Welt ist das Produkt meiner schöpferischen Tätigkeit, meines Wollens … Ich bin der Ursprung alles Erlebens, der Schöpfer der Welt.« Und so findet sich um 1904/05 erstmals in seinen Aufzeichnungen der Satz: »Ich bin Gott«.

Was Friedrich Nietzsche am Prometheus-Mythos wichtig ist, hat auch für Skrjabin grundlegende Bedeutung: der Raub des Feuers als Grundlage »jeder aufsteigenden Kultur, (als Beleg dafür), dass der (Über-)Mensch frei über das Feuer waltet und es nicht als ein Geschenk vom Himmel empfängt.« In der »Geheimlehre« von Helène Blavatzky, der Begründerin der Theosophie, hat Skrjabin den Satz lesen können: »Das Feuer ist in jedem philosophischen und religiösen System, selbst im Christentum, eine Darstellung des Geistes der Gottheit, des tätigen, männlichen, zeugenden Prinzips«. Und so gab er seinem »Prometheus« den Untertitel »Gedicht vom Feuer«.

Zum Zeichen setzt Skrjabin an die Spitze der »Prometheus«-Partitur eine Zeile mit der Bezeichnung »Luce« (Licht), die einem utopischen Instrument, einem Farbenklavier zugedacht war. Dessen Tasten sollten Farben auslösen, die Skrjabin nach dem Prinzip des Farbenhörens in einem ausgeklügelten System den zwölf Tönen zugeordnet hatte und die ihm zugleich seelische Eigenschaften ausdrückten. Indem er vorhandene Lücken seines Farbenempfindens auf theoretischem Wege geschlossen hatte, war er entsprechend dem musikalischen Quintenzirkel zu einem in sich geschlossenen Farbkreis gelangt, der das Farbspektrum mit einigen Zwischentönen durchläuft.

Die Luce-Zeile der »Prometheus«-Partitur enthält zwei Stimmen: Die eine durchwandert in lang gehaltenen Tönen, die den Farbhintergrund abgeben sollen, in etwa die Ganzton-Skala, als Ausdruck der geistigen Entwicklung, die der Zuhörer während der Musik durchmachen soll; die andere Stimme folgt getreulich den Grundtönen der Harmonie. Jede Transposition des »Prometheus«-Akkords auf eine der zwölf chromatischen Stufen ruft also eine neue Farbe herauf. Gibt es zu Anfang noch weite Strecken, auf denen Grundton und Farbe konstant bleiben, so wechseln sie gegen Ende zuweilen in rascher Folge, einem Farbrausch gleich. Der Farb-Ton-Verbindung ist darüber hinaus eine symbolische Bedeutung zugeordnet, die auf Affekte oder Begriffe der Skrjabin’schen Philosophie hinweist. So drückt etwa das C mit seiner roten Farbe den menschlichen Willen aus, das orangene G das schöpferische Spiel, das gelbe D Freude usw.

Für die Feier des Prometheus-Helden-Menschen mobilisiert Skrjabin einen schier riesigen Orchesterapparat: acht Hörner, fünf Trompeten, drei Posaunen und eine Tuba, ein reiches, von Glocken geprägtes Schlagzeug-Instrumentarium, Orgel, ein virtuoses, solistisch geführtes Klavier innerhalb des Orchesters und schließlich neben dem »normalen« Orchester einen vierstimmigen Chor, der nur mit geschlossenem Mund summend oder mit textlosen Vokalisen eingesetzt wird: ein Extremfall instrumentaler Verwendung menschlicher Stimmen! Man kann es auch anders sagen: in eben dem Werk, in dem der Mensch als gottähnliches Wesen expressis verbis in den Himmel gehoben wird, hebt er sich konkret als reines Klangregister in dem gewaltigen Orchester auf.

Andreas Maul

Die Licht-Stimme in Alexander Skrjabins »Prométhée«

Wer die Partitur von Alexander Skrjabins »Prométhée« aufschlägt, erblickt ganz oben über dem Part der Flöten eine mit »Luce« bezeichnete Stimme: Ein mit einem Violinschlüssel vorgezeichnetes Notensystem enthält einen in konventioneller Notenschrift wiedergegebenen meist zweistimmigen Verlauf. Während eine Stimme fast durchweg aus lang gehaltenen Orgelpunkten besteht, ist die andere etwas bewegter gehalten. Bei genauer Betrachtung kann man feststellen, dass die Töne dieser bewegten Stimme den Zentraltönen der jeweils erklingenden Harmonien entsprechen. Die andere Stimme hingegen korrespondiert zumindest ungefähr mit der formalen Struktur des Stückes. An wenigen Stellen ist der Verlauf zur Einstimmigkeit ausgedünnt, ein einziges Mal für wenige Takte zu einem dreistimmigen Akkord verdichtet.

In der Partitur finden sich darüber hinaus keinerlei Angaben. Nicht der geringste Hinweis ist gegeben, wie diese Licht-Stimme zu realisieren sei. Wer das versuchen möchte, muss sich auf Spurensuche begeben. Allgemein bekannt ist, dass Skrjabin Synästhet war, also bestimmte klangliche Eindrücke mit Farben verband. Belegt ist außerdem, dass sich Skrjabin intensiv mit Versuchen beschäftigt hat, Klang und Farbe zu verbinden. Noch zu Lebzeiten Skrjabins hat man anlässlich einer New Yorker Aufführung des »Prométhée« im Jahr 1915 versucht, die Licht-Stimme wiederzugeben. Die Kriegswirren verhinderten, dass der Komponist dieser Aufführung hätte beiwohnen können. Bei der Uraufführung in Moskau im Jahr 1911 hatte man darauf noch verzichten müssen, die Licht-Stimme zu realisieren. Es hat sich ein Exemplar des Erstdrucks der Partitur erhalten, das in der Französischen Nationalbibliothek in Paris aufbewahrt wird und das Skrjabin als seine Arbeitspartitur benutzt hat. In dieser Partitur hat Skrjabin die Lichtstimme handschriftlich zumindest anfangs en detail bezeichnet. Nicht nur finden sich Hinweise auf die Farben selbst, sondern darüber hinaus ist in manchmal sehr assoziativen Worten notiert, welchen Charakter die Lichtstimmungen haben sollen. Auch Änderungen der Intensität des Lichtes sind durch Crescendi und Decrescendi angegeben. Unverständlich ist, dass diese Angaben bis heute keinen Eingang in die gedruckte Partitur gefunden haben. Das Verdienst, diese und weitere Quellen zusammengeführt und analysiert zu haben, gebührt dem österreichischen Musikwissenschaftler Josef-Horst Lederer, der über die Funktion der Licht-Stimme 1980 einen spannenden Aufsatz veröffentlicht hat. Darin ist sowohl die strukturelle Kopplung der Licht-Stimme an die Harmonik und den formalen Verlauf des Werkes beschrieben und wird außerdem auf die theosophisch beeinflussten Vorstellungen eingegangen, die Skrjabin beim Versuch der Verbindung von Klang und Licht inspiriert haben. Josef-Horst Lederer hat uns dankenswerter Weise die ihm vorliegende Kopie eines Teils der Partitur mit den Skrjabinschen Einträgen zugänglich gemacht.

Die Licht-Stimme in Skrjabins »Prométhée« ist integraler Bestandteil des Werkes und nicht etwa illustrative Zutat. Durch die Kopplung an Harmonik und Form ist sie mit den Tiefenschichten des Werkes verbunden und weit weniger mit dessen klanglicher Oberfläche. Oft erscheint sie kontrapunktisch konzipiert: Das Licht doppelt nicht unbedingt musikalische Höhepunkte, sondern ist in solchen Partien, die harmonisch meist stabil sind, zumeist eher statisch gehalten. Dagegen kommt in überleitenden und durchführungsartigen Feldern, die in der musikalischen Dynamik zurückgenommen sein können, erhebliche Bewegung in die Lichtstimme. Bei unserer Realisierung der Licht-Stimme wollten wir der Versuchung widerstehen, mit den heutigen technischen Möglichkeiten eine große und spektakuläre Lichtshow auf die Bühne zu zaubern, sondern unser Ansatz war eher puristisch: Dem Notentext wird genau gefolgt. Die beiden Lichtstimmen werden getrennt realisiert. Die aus lang gehaltenen Orgelpunkten bestehende Stimme ist dem Bühnenraum zugeordnet. Dass dabei die weiß gekleideten Musikerinnen und Musiker gleichsam Teil des Lichterspiels werden, geht auf eine Idee Skrjabins zurück, der sogar das Publikum in vergleichbarer Weise einzubeziehen gedachte. Die an die Harmonik gekoppelte Stimme hingegen wird auf den Orgelprospekt projiziert. Diese Stimme wird von einer Musikerin über eine Klaviertastatur und ein Pedal live gesteuert.

Jens Schubbe