Anton Bruckner: 9. Sinfonie

Keine Sorge: Die Alte Oper wird nicht zur Kathedrale und das Konzertprogramm nicht zum Gottesdienst. Es ist aber noch gar nicht so lange her, dass die neun Sinfonien von Anton Bruckner genau so behandelt wurden – als seien sie eine Art Weihehandlung, mystische Klangwolke, Messfeier ohne Text. Und gerade die neunte Sinfonie lädt ja förmlich ein, sie gen Himmel zu überhöhen, hat der Komponist sie doch »dem lieben Gott« gewidmet.

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Programm

STANISŁAW SKROWACZEWSKI | Dirigent

Anton Bruckner | 9. Sinfonie

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Doch der große polnische Dirigent und Bruckner-Kenner Stanisław Skrowaczewski ist, obwohl schon jenseits des 90. Geburtstags, ein moderner, weil unpathetischer Bruckner-Dirigent. Und so wird diese Neunte mit ihrem so gespenstisch wirkenden Totentanz im Zentrum eine ausdrucksstarke, bewegende Angelegenheit werden und, ja, wohl auch von letzten Dingen sprechen, ohne aber mit Weihrauchfass zelebriert zu werden.

Anton Bruckner (1824–1896)
9. Sinfonie d-Moll (1887-1896)

DER KOMPONIST

Anton Bruckner, 1824 im österreichischen Ansfelden geboren und 1896 in Wien gestorben, war eine der eigentümlichsten Künstlerpersönlichkeiten des 19. Jahrhunderts. Als »bedeutendsten Sinfoniker nach Beethoven« hat ihn einst Richard Wagner bezeichnet, Johannes Brahms hingegen verurteilte seine ungebändigte, von seelischen Abgründen kündende Musik als »Schwindel«. In dieser Spannung, dem Glaubenskrieg zwischen »Brahmsianern« und »Wagnerianern«, zwischen Anhängern der »absoluten Musik« und jenen des dramatischen Musikkonzepts der »Neudeutschen« Liszt, Berlioz und Wagner, stand Bruckner bis zu seinem Lebensende – und noch weit darüber hinaus: Noch Mitte des 20. Jahrhunderts waren die Meinungen über ihn und sein Werk geteilt.

Der »tief ehrfürchtige« Wagner-Verehrer, der ab 1850 Stiftsorganist in St. Florian war und dann Domorganist in Linz, bevor er 1868 als Konservatoriumsprofessor nach Wien ging, war als Sinfoniker ein Spätberufener. Erst mit der Uraufführung seiner 7. Sinfonie im Jahre 1884 konnte er sich kompositorisch durchsetzen. Die Jahre zuvor waren von großer künstlerischer Verunsicherung geprägt. Und so hat der allgemein zu Unterwürfigkeit neigende Bruckner seine Sinfonien infolge öffentlicher Kritik und auf Anraten »guter« Freunde teilweise mehrfach überarbeitet. Jenseits der dadurch entfachten Diskussion um die letztlich beste und authentischste »Fassung« seiner Werke gilt der geniale Eigenbrötler, der einst als frommer Kirchenmusikkomponist begonnen hatte, mit seinen unkonventionellen Formkonzepten und seiner sinnlich herausfordernden Klangsprache heute als einer der bedeutendsten Sinfoniker des 19. Jahrhunderts.

DAS WERK

In seinem eindrucksvollen sinfonischen Schlusswort der 9. Sinfonie variiert Bruckner ein letztes Mal die Grundelemente seines sinfonischen Modells, verbindet die pompösen Staffagen der neudeutschen romantischen Schule mit Erfahrungen des improvisierenden Organisten und vertraut der unvergleichlichen Wendigkeit seiner Satzkunst und seinem Instinkt für großformale Abläufe und Proportionen. Kein Hörer wird sich dabei dem Eindruck entziehen können, dass Bruckner zugleich eine Bilderwelt suggeriert, und gerne wird in solchem Zusammenhang auf die Bilderfluchten des barocken Klosters St. Florian verwiesen, wo er einst seine ersten künstlerischen Eindrücke empfangen hat: Bilder von aufgetanen Himmeln und gemarterten Heiligen, Bilder von brausender Überfülle und lüsterner Neugier auf Abgründiges. Dass Bruckners musikalische Kunst weit über vordergründig Illustratives hinausgeht und auch mit abstraktem Blick schlüssig zu deuten ist, erscheint unbestritten – unleugbar aber auch, dass seine Fantasie von solchen Imaginationen beherrscht war.

Obwohl er fast ein Jahrzehnt – von Herbst 1887 bis zu seinem Tod im Oktober 1896 – an der 9. Sinfonie gearbeitet hat, konnte Bruckner das Werk letztlich nicht mehr vollenden. Mehr als sieben Jahre hat er allein zur Komposition der ersten drei Sätze benötigt. Die zwei verbleibenden Lebensjahre reichten dann nicht mehr aus, um den gewaltigen Schlusssatz des Werkes, das Bruckner, resignierend und hoffend zugleich, »dem lieben Gott« gewidmet hatte, noch in eine endgültige Gestalt zu bringen – obwohl er bis zuletzt mit großer Anstrengung am Finale arbeitete. Dass die Sinfonie aber auch in ihrem Unvollendetsein wie eine mächtige Einheit wirkt, verdankt sie nicht zuletzt dem gewaltigen Adagio des dritten Satzes, das in seiner Ausdruckskraft wie kompositorischen Dichte und Kühnheit einen gleichwertigen Gegenpol zum monumentalen Kopfsatz bildet.

Wenn Bruckner die Exposition des Eröffnungssatzes dabei auch ähnlich wie in der 3. Sinfonie gebaut hat, erscheint die lange Entwicklungsphase zu Beginn doch bedeutsam. Der Zuhörer vernimmt das Entstehen eines Themas gleichsam aus der Stille. Dieser Prozess ist fast didaktisch in seiner Entwicklung von größeren Zusammenhängen aus kleinen Elementen und Modulen. Die Linearität bleibt dabei einem Tremolo überlassen, das nur der artikulierten Schärfe des Hauptthemas weicht, um gleich danach wieder, als Nachhallklang verfremdet, aufzutauchen. »Dieses Grundmodell des ersten Themas«, so Manfred Wagner, »definiert noch einmal das Spezifische von Bruckners Musik: das Prinzip der Entwicklung und die Erforschung des Klanges. Bruckner glaubt zwar noch an den zwingend herrschenden musikalischen Gedanken, indem er ihn als Krönung der Entwicklung an deren Schluss setzt, aber er weiß, dass es in Zukunft viel eher um die Umstände geht, wie etwas sein wird, als um das, was sein wird. Bruckner war sich bewusst, wo die Materialhinterfragung anzusetzen hatte: bei der Stille. Er versteht sie gleichsam als negativen Klang, der noch nicht hörbar, aber existent ist, und seinem einfachsten Nachfolger, dem Einzelton, vorausgeht.«

Dies muss nicht immer so wörtlich notiert sein wie am Anfang des Scherzos seiner »Neunten«, wo eine ganztaktige Pause immanent logisch erscheint. Alle Bruckner'schen Sinfonien setzen im Prinzip mit einem Pianissimo an. Dieses letzte Scherzo Bruckners stellt dabei das wohl seltsamste und fortschrittlichste Stück Musik dar, das er geschrieben hat: eine fantastische Vorschau auf das 20. Jahrhundert. Der 70-Jährige entpuppt sich hier plötzlich als purer Realist, der voll bitterer Ironie das künftige Jahrhundert anvisiert. Ohne Spur von Verklärung und Mystik, vielmehr verzerrt und verfremdet dröhnt uns da eine neue Welt entgegen. Ansonsten klingen in Bruckners letztem Werk – vor allem im Adagio des dritten Satzes – auch zahlreiche Anspielungen und Eigenzitate an, die den Charakter einer beschließenden sinfonischen Zusammenschau musikalisch noch verstärken.

Andreas Maul