Wolfgang Amadeus Mozart: Klarinettenkonzert | Jean Sibelius: 5. Sinfonie

Eines der schönsten Klarinettenkonzerte überhaupt mit Star-Klarinettist Jörg Widmann sowie eine der populärsten Werke der nordischen Sinfonik sind in diesem Jungen Konzert zu erleben, dessen Interpreten und Programm aktuell kurzfristig geändert werden musste.

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Programm

JÖRG WIDMANN | Klarinette
HUGH WOLFF | Dirigent

Wolfgang Amadeus Mozart | Klarinettenkonzert
Jean Sibelius | 5. Sinfonie

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Eigentlich sollte der »Conductor Laureate« dieses Konzert dirigieren. Doch der ehemalige Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters Paavo Järvi musste sein Engagement krankheitsbedingt leider absagen. Für ihn ist dankenswerterweise kurzfristig sein Vorgänger Hugh Wolff eingesprungen. Zugleich gibt es auch einen neuen Solisten: Statt Martin Fröst ist nun Jörg Widmann als Klarinettist zu erleben. Auf dem Programm stehen dabei neu das Klarinettenkonzert von Wolfgang Amadeus Mozart und die 5. Sinfonie von Jean Sibelius. Über das Mozart'sche Klarinettenkonzert sagt Jörg Widmann, es sei jedes Mal ein »Mount Everest«. Und es gebe nicht nur eine Route, sich diesem »Berg« zu nähern, vielmehr würde er versuchen, immer einen anderen Zugang zu finden. Man darf also gespannt sein, wie sich der international renommierte Münchner Klarinettist dem »unspielbaren« Mozart-Werk annehmen wird. Mit der 5. Sinfonie von Sibelius präsentiert Hugh Wolff außerdem eines der bekanntesten Werke der »nordischen« Sinfonik. Die extrovertierte, unbekümmerten Optimismus ausstrahlende Komposition entstand während des Ersten Weltkriegs und gilt als eines der besten Beispiele für die enorme Ausdruckskraft von Sibelius. Dabei assoziiert man mit der Musik schnell die weite finnische Landschaft, die letztlich auch eine wichtige Inspirationsquelle für den Komponisten bedeutete.

Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)
Klarinettenkonzert A-Dur KV 622 (1791)

DER KOMPONIST

Wolfgang Amadeus Mozart, geboren 1756 in Salzburg, gestorben 1791 in Wien, scheint über jede Kritik erhaben. In der unnachahmlichen Balance aus Inspiration, Formgefühl und emotionalem Gehalt steht seine Musik einzig da in der Musikgeschichte. Bereits als Vierjähriger begann Mozart mit Klavierspiel und Komponieren und wurde vom Vater für eine Wunderkind-Karriere vorbereitet. Im Jahre 1762 unternahmen die beiden die ersten Kunstreisen, 1763–1766 die erste große Reise durch Deutschland, Frankreich, England, Holland, Belgien und die Schweiz. Von 1769 an war Mozart Konzertmeister der fürstbischöflichen Kapelle in Salzburg. Die 1770er Jahre sahen ihn immer wieder auch auf Reisen. Schließlich litt Mozart unter der Enge des Salzburger Hofes, er riskierte den Bruch mit dem Erzbischof und übersiedelte 1781 als freier Komponist nach Wien, wo bis zu seinem Tode eine lange Reihe von Meisterwerken entstand.

Die vielen Reisen, die Mozarts Leben wie ein Pulsschlag durchzogen, haben dabei auch sein musikalisches Schaffen rhythmisiert. Im Reagieren auf das mit Neugier Erfahrene und Erlebte gelingt es Mozart, die verschiedenen nationalen goûts sich persönlich anzueignen und letztlich in der Universalität der »Wiener Klassik« zu verschmelzen. Kennzeichnend für Mozarts außergewöhnliches kompositorisches Schaffen erscheinen dabei nicht so sehr neue, revolutionäre Formungen wie bei Beethoven oder eine experimentelle Komponierhaltung wie bei Haydn, sondern der musikalische Ausgleich der Gegensätze. Mozart hinterließ eine kaum übersehbare Fülle von Werken aller Gattungen und Formbereiche – das Köchel-Werkverzeichnis nennt mehr als 600 Nummern.

DAS WERK

Wolfgang Amadeus Mozart wandte sich dem Komponieren von Instrumentalkonzerten für seine Verhältnisse erst relativ spät, im Alter von 17 Jahren, zu. Von den insgesamt rund 40 konzertanten Werken, die er zwischen 1773 und seinem Todesjahr 1791 schrieb, sind immerhin etwa ein Viertel für verschiedene Blasinstrumente und Orchester komponiert. Als unmittelbarer Schaffensimpuls für diese Arbeiten dienten Mozart dabei entweder finanziell lukrative Aufträge wohlhabender Musikliebhaber oder der Kontakt mit einzelnen herausragenden Musikerkollegen.

Auch das Klarinettenkonzert A-Dur KV 622– Mozarts letztes vollendetes Instrumentalwerk überhaupt – wäre ohne die Inspiration durch einen bestimmten Virtuosen gewiss nicht entstanden. Es war Anton Stadler, ein mit Mozart seit den frühen 1780er Jahren bekannter und bald auch befreundeter Klarinettist, dem das Werk – wie zuvor bereits einige weitere Mozart-Stücke mit Verwendung von Klarinetten-Instrumenten – quasi auf den Leib geschrieben wurde. Die Arbeit dürfte Mozart umso leichter von der Hand gegangen sein, als die damals noch junge Klarinette ohnehin zu seinen Lieblingsinstrumenten zählte. Stadler war aber nicht nur ein exzellenter Klarinettist, sondern nahm selbst auch regen und tätigen Anteil an der Weiterentwicklung seines zu jener Zeit noch nicht endgültig ausgereiften Instruments in dessen unterschiedlichen Bauarten. So entwickelte er in Zusammenarbeit mit dem Instrumentenbauer Theodor Lotz um 1788 eine im Tonumfang um vier Halbtöne nach unten erweiterte Version der Klarinette, die heute als »Bassettklarinette« bekannt ist.

Für dieses Instrument, das sich in Musikerkreisen jedoch nicht durchsetzen konnte, komponierte Mozart sein Klarinettenkonzert im September und Oktober 1791, rund zwei Monate vor seinem Tod. Die Ursprünge des Werkes liegen aber noch einige Jahre früher: Wohl schon 1785 skizzierte Mozart den Allegro-Satz KV 584b für Bassetthorn (eine Art Tenorklarinette) und Orchester in G-Dur, dessen Material fast unverändert, lediglich um einen Ton nach oben transponiert, in den Kopfsatz des späteren Klarinettenkonzerts Eingang fand.

Viele Indizien sprechen dafür, dass das Konzert noch zu Mozarts Lebzeiten, am 16. Oktober 1791 vom Widmungsträger Stadler in Prag uraufgeführt wurde. Erschienen ist die Komposition in dieser Form freilich nie; publiziert wurde sie posthum 1801 in der bis heute gebräuchlichen und sicher nicht von Mozart stammenden Umarbeitung für eine A-Klarinette. Diese beinhaltet jedoch etliche Einschnitte in die ursprüngliche Solostimme, denn der A-Klarinette als »neuem« Soloinstrument stand ja die tiefste Lage der eigentlich vorgesehenen Bassettklarinette nicht in vollem Umfang zur Verfügung. Da die Originalfassung des Konzerts schon lange als verloren gilt, kann die ursprüngliche Solostimme auch nur noch annäherungsweise rekonstruiert werden.

Mozarts einziges Klarinettenkonzert ist zugleich das bekannteste, beliebteste und meistgespielte unter allen Bläserkonzerten der Musikgeschichte. Der Komponist bringt darin auf ideale Weise die spezifischen Vorzüge der Klarinette zur Geltung: den wandlungsfähigen Charakter ihres Tons in den verschiedenen Registern, ihre virtuose Geläufigkeit und ihren eigentümlichen Klangschmelz (den Mozarts Zeitgenosse Christian Friedrich Daniel Schubart als »in Liebe zerflossenes Gefühl« in Worte zu fassen suchte). Eine gelassen-heitere Stimmung von milder Altersweisheit und eine innige Wärme der Empfindung prägen das Werk, dessen Orchesterbesetzung nicht nur auf Klarinetten, sondern auch auf Oboen verzichtet und so die spezifischen Klangfarben des Soloinstruments noch mehr in den Fokus rückt.

Der letztlich über alle drei Sätze des Klarinettenkonzerts hinweg überaus einheitliche Eindruck verdankt sich dem weitgehenden Verzicht auf die üblichen Ausdruckskontraste zwischen den einzelnen, untereinander verwandten Themen und der konzentrierten motivischen Arbeit, der Mozart dieses Material unterzieht. Konsequenterweise (und ungewöhnlich für die Zeit) verzichtet der Komponist auch auf Kadenzen als Vehikel für die virtuose Profilierung und Selbstdarstellung des Solisten, dem es gleichwohl im Laufe des Werkes nicht an Gelegenheiten mangelt, seine technischen und interpretatorischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.

Adam Gellen

Jean Sibelius (1865–1957)
5. Sinfonie Es-Dur op. 82 (1915/1916/1919)

DER KOMPONIST

Jean Sibelius, 1865 in Hämeenlinna geboren und 1957 in Järvenpää gestorben, war der Begründer und die große Vaterfigur der finnischen Kunstmusik. Der Sohn einer aus Schweden gebürtigen Familie lernte das Finnische dabei erst spät. Am Konservatorium in Helsinki studierte er bis 1889 Violine und Komposition und setzte im Anschluss seine Studien in Berlin und Wien bei Robert Fuchs und Karl Goldmark fort. Ab 1892 unterrichtete Sibelius selbst am Konservatorium von Helsinki. Eine Staatsrente ermöglichte ihm 1897, sich fortan ganz seinem musikalischen Schaffen zu widmen. 1904 zog sich Sibelius schließlich in die Einsamkeit von Järvenpää, rund 40 km vor den Toren Helsinkis, zurück, wo er – von einigen Reisen abgesehen – sein weiteres Leben zurückgezogen verbringen sollte.

Der Erbe von Brahms und Zeitgenosse Arnold Schönbergs und Richard Strauss' ging in seiner Musik andere Wege als die Avantgarde seiner Zeit. Sibelius vermied den Bruch mit der Romantik, entwickelte aber gleichwohl eine sehr individuelle, moderne musikalische Sprache. Als junger Mann war er dabei Exponent des erwachenden finnischen Nationalbewusstseins und schuf in seinen Werken die mythische Welt des Nationalepos »Kalevala« nach. Jenseits dieser bedeutenden Sammlung altfinnischer Runengesänge wirkten auch Eindrücke der finnischen Landschaft auf seine Musik ein, die in ihrem archaischen Ausdruckscharakter zunehmend eine ganz eigene Ästhetik entwickelte. Der vor allem in England und Amerika früh große Erfolge feiernde Sibelius schloss sein kompositorisches Œuvre dabei bereits im Jahre 1929, fast drei Jahrzehnte vor seinem Tod, ab. Heute gilt er als einer der Hauptrepräsentanten der nordischen Musik und vor allem als deren bedeutendster Sinfoniker.

DAS WERK

»Ich habe viel darunter zu leiden gehabt, dass ich mich darauf versteifte, Sinfonien zu komponieren in einer Zeit, in der so gut wie alle Tonsetzer zu anderen Ausdrucksformen übergegangen waren«, bekannte Sibelius in den Kriegsjahren 1914/15, während seiner Arbeit an der 5. Sinfonie. Es war eine Zeit des stilistischen und ästhetischen Umbruchs. Die Avantgarde hatte die Absage an die Form- und Ausdruckswelt des 19. Jahrhunderts zum Programm erhoben. Und auch Sibelius war irritiert und verunsichert. Dabei suchte er nach eigenständigen Lösungen. In seinen Tagebuchnotizen heißt es: »Ging in kalter Frühlingssonne spazieren. Bekam eine gewaltige Impression der Sinf. V. Das Neue!« Und weiter: »Sah heute um zehn vor elf 16 Schwäne. Einer der größten Eindrücke meines Lebens! Sie kreisten sehr lange über mir. Verschwanden im Sonnendunst wie ein silbernes Band. Der Klang ähnlich Holzbläsern wie der der Kraniche, aber ohne Tremolo. Die Schwäne nähern sich eher der Trompete, obwohl der Sarrusofonklang deutlich ist. Ein leiser Kehrreim, an das Weinen eines kleinen Kindes erinnernd. Naturmystik und Lebensschmerz!«

Sibelius' Aufzeichnungen machen deutlich, dass er seine 5. Sinfonie als Gegenstück zu der introvertierten, psychologisch vergrübelten »Vierten« anlegte. Deren ungewöhnliche Herbheit und bis in die Grenzbereiche der Atonalität vordringende, kühne Harmonik hatten Freunde wie Kritiker gleichermaßen überrascht. Die 5. Sinfonie geriet denn auch musikalisch diesseitiger, »irdischer, lebendiger«, wie Sibelius es formulierte. In einem Festkonzert aus Anlass seines 50. Geburtstags wurde sie im Dezember 1915 in Helsinki auch erfolgreich uraufgeführt. Doch Sibelius selbst war unzufrieden mit ihr und zog das Werk wieder zurück. 1916 ließ er eine zweite Fassung der »Fünften« folgen, 1919 schließlich eine endgültige dritte.

Hatte die Sinfonie dabei zunächst noch vier Sätze aufgewiesen, verschmolz Sibelius im Laufe der Revisionen die ersten beiden Sätze miteinander und schuf so eine höchst individuelle Struktur, in der ein Moderato-Satz sich in ein Scherzo wandelt. Man merkt dem Satz in seiner endgültigen Formung nicht an, welche Schwierigkeiten es bereitet hatte, diese originelle Gliederung organisch zu gestalten. Sibelius entwickelt beide Teile in freier Sonatenform aus dem gleichen thematischen Material. Auf die Exposition, die vier Themen präsentiert, lässt er dabei als Reprise unmittelbar ihre variierte Wiederholung folgen, der Scherzo-Teil erhält so die Funktion einer Durchführung. Dabei wird der Gesamteffekt der Beschleunigung im Tempo noch dadurch erhöht, dass das Material gleichsam aus sich selbst wächst.

An zweiter Stelle folgt ein poesievoll anmutiger Satz, dessen Reihungsform sich als Thema mit Variationen erweist. Der folkloristische Charakter des Ausgangsgedankens ist unüberhörbar. Das Gegenspiel seiner Streicher-Pizzicati mit den Terzen der Flöten wird im weiteren Verlauf dabei ebenso bedeutsam wie der Rhythmus des Themas. Die Originalität der melodischen Variierung ist hier besonders ausgeprägt und bemerkenswert, ebenso die Architektur des Satzes, den Sibelius zunehmend leidenschaftlich färbt. Das vierteilige Allegro molto-Finale atmet im Anschluss dann jene von Sibelius angesprochene Diesseitigkeit und Lebensbejahung – eine ganz eigene Lebensbejahung allerdings, nicht rauschhaft überwältigend, sondern eher zart beginnend und nur dank der Energie eines zweiten Themas der Hörner sich zunehmend steigernd. Dieses schwingende Hörner-Thema mit seinem markanten Holzbläser-Kontrapunkt ist jenes »Schwanenthema«, von dem Sibelius in seinen Tagebuchnotizen berichtete. Auch in dem Schlusssatz erscheint die übliche Trennung von Aufstellung und Verarbeitung der Themen dabei aufgehoben: Exposition und Durchführung werden innerhalb eines Abschnitts miteinander verwoben.

Andreas Maul