Strawinsky_Igor

Im Januar 1971 – drei Monate vor seinem Tod – hört Igor Strawinsky das Oratorium »Christus« von Franz Liszt. Das ihm – wie fast allen Musikfreunden – bis dahin unbekannte Werk beeindruckt den greisen Komponisten und regt ihn zu lebhaften Gedankengängen über Liszt an, über dessen musikalische Stärken und Schwächen und das zuvor nicht gekannte Werk.

Strawinsky hörte Liszts Oratorium im Radio, in einer Live-Übertragung des ersten Konzerts, das der Hessische Rundfunk im Rahmen der neuen »Internationalen Konzertsaison der Union Europäischer Rundfunkanstalten« (European Broadcasting Union/EBU) aus dem Großen Sendesaal übertrug. Es spielte das Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt unter Ljubomir Romansky, Mitwirkende waren ferner die Frankfurter Singakademie sowie die Solisten Evelyn Lear, Julia Hamari, Alexander Young, Thomas Steward und Franz Crass.

Imaginärer Konzertsaal

Audiobeitrag

Audio

Franz Liszt: Christus (Oratorium) – Erstes EBU-Konzert des Hessischen Rundfunks, Aufnahme vom 18. Januar 1971

Franz Liszt
Ende des Audiobeitrags

Einen Konzertabend lang war Strawinsky einer von vielen in jener imaginären Konzerthalle, in der bei den EBU-Konzerten nicht nur für das Publikum im Saal, sondern darüber hinaus für Millionen an ihren Radiogeräten daheim musiziert wird. Diese imaginäre Konzerthalle immer wieder zu realisieren, ist seit Ende der 60er Jahre ein Bestreben von Rundfunkplanern in ganz Europa. Sinfonie-Konzerte zum gleichen Zeitpunkt in Rom und Madrid, Paris und Frankfurt, London und Brüssel, Helsinki und Stockholm live zu übertragen und damit Hörer aus verschiedenen Ländern und Breiten für zwei Stunden ideell im Erlebnis eines Konzertes miteinander zu vereinen – das war der Grundimpuls für die Geburt der »Internationalen Konzertsaison der EBU«.

Ziel: Europäische musikalische Zusammenarbeit

Die Vergangenheit, die die Länder Europas durch den Hitler-Faschismus und Zweiten Weltkrieg getrennt hatte, wollte man überwinden und mit Konzerten für Hörer in ganz Europa Vorreiter sein für eine mögliche künftige Zusammenarbeit auch auf anderen Gebieten. Und was damals mit insgesamt sieben Konzerten im Jahr begann, umfasst heute ein wöchentliches Angebot. Zudem haben sich zahlreiche weitere Aktivitäten entwickelt: insgesamt mehr als 200 Konzerte im Jahr. In der Regel wird ein Konzert dabei von mehr als 4 Millionen Hörern in ganz Europa und Übersee gehört – und das Sinfonie-Orchester des Hessischen Rundfunks ist an diesen Konzerten regelmäßig aktiv beteiligt.